Bewerbergespräch
Definition und Bedeutung
Das Bewerbergespräch ist ein zentrales Element im Auswahlprozess von neuen Mitarbeitenden in Unternehmen und Institutionen, einschließlich Kanzleien. Es handelt sich dabei um ein strukturiertes Gespräch zwischen einer Bewerberin oder einem Bewerber und einer oder mehreren Personen der Auswahlseite, häufig aus der Personalabteilung oder aus der Führungsebene. Ziel des Bewerbergesprächs ist es, gegenseitige Erwartungen zu klären, fachliche und persönliche Voraussetzungen der Bewerbenden kennenzulernen und die Passung zur ausgeschriebenen Stelle sowie zur Unternehmenskultur zu beurteilen.
Einordnung im Bewerbungsprozess
Das Bewerbergespräch ist meistens ein Zwischenschritt oder Höhepunkt im mehrstufigen Auswahlprozess. Nach Sichtung und Bewertung der schriftlichen Bewerbungsunterlagen (Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse und weitere Dokumente) werden geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu einem persönlichen oder virtuellen Gespräch eingeladen. In Kanzleien dient das Bewerbergespräch der genaueren Einschätzung der fachlichen Qualifikation, der persönlichen Motivationen sowie der sozialen Kompetenzen, die für die Tätigkeit im Team relevant sind. Die Eindrücke aus dem Gespräch fließen maßgeblich in die endgültige Auswahlentscheidung ein und sind somit von hoher Bedeutung für den erfolgreichen Einstieg in eine Kanzlei.
Rolle und Relevanz beim Einstieg in eine Kanzlei
Kanzleien legen im Bewerbergespräch besonderen Wert auf die kommunikative Fähigkeit, das Auftreten, die Motivation für die Position und das Interesse an der spezifischen Arbeitsweise sowie am Kollegenkreis der Kanzlei. Das Gespräch bietet interessierten Personen die Möglichkeit, sich über die Besonderheiten der Arbeitsweise, Weiterentwicklungsmöglichkeiten und das Arbeitsumfeld zu informieren und eigene Fragen zu platzieren.
Anforderungen und Erwartungen von Arbeitgeberseite
Arbeitgeber verfolgen mit dem Bewerbergespräch mehrere Ziele:
- Fachliche Eignung: Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten anhand praktischer Beispiele oder gezielter Rückfragen.
- Persönliche Kompetenzen: Einschätzung von Eigenschaften wie Engagement, Kommunikationsfähigkeit, Teamorientierung und Problemlösekompetenz.
- Motivation und Selbsteinschätzung: Bewertung, wie sich Bewerbende die Tätigkeit vorstellen, aus welchen Gründen sie sich gerade bei dieser Kanzlei einbringen möchten und inwieweit ihre Vorstellungen mit der gelebten Realität übereinstimmen.
- Kulturelle Passung: Beurteilung, ob die Persönlichkeit der Bewerberin oder des Bewerbers zum Team und zum generellen Kanzleiumfeld passt.
Kanzleien erwarten in der Regel, dass Gespräche gut vorbereitet werden, ein grundlegendes Verständnis für die Arbeitsinhalte vorhanden ist und Bewerberinnen und Bewerber in der Lage sind, ihre Stärken wie auch Motivation authentisch zu vermitteln.
Typische Missverständnisse und Fehlinterpretationen
Im Zusammenhang mit Bewerbergesprächen treten immer wieder verschiedene Missverständnisse auf:
- Verwechslung mit einem informellen Austausch: In der Regel handelt es sich beim Bewerbergespräch um ein strukturiertes Gespräch, das klaren Auswahlkriterien folgt und maßgeblich für die Entscheidung ist.
- Unterbewertung des Gesprächsumfangs: Viele Bewerbende unterschätzen die Tiefe und den Umfang der Fragen. Häufig werden neben fachbezogenen Themen auch Fragen zur Persönlichkeit, Arbeitsweise und Motivation gestellt.
- Falsche Erwartungen an die Gesprächsführung: Das Bewerbergespräch findet zumeist auf Augenhöhe statt. Hierbei geht es nicht um das reine Abfragen von Wissen, sondern um einen Austausch, bei dem beide Seiten voneinander lernen und ihre Ziele abgleichen.
Praktische Tipps für Bewerberinnen und Bewerber
Das Bewerbergespräch ist eine entscheidende Gelegenheit, den möglichen Arbeitsplatz und das Team kennenzulernen sowie den eigenen Eindruck zu hinterlassen. Folgende Hinweise sind hilfreich:
- Gründliche Vorbereitung: Informieren Sie sich über die Kanzlei, deren Tätigkeitsfelder und aktuelle Entwicklungen. Überlegen Sie, wie Sie Ihre Erfahrungen und Interessen überzeugend im Gespräch darstellen können.
- Selbstreflexion: Werden Sie sich Ihrer Stärken sowie Entwicklungspotenziale bewusst und überlegen Sie, wie Sie zu den Anforderungen der Kanzlei passen.
- Authentizität: Bleiben Sie im Gespräch authentisch. Versuchen Sie nicht, Erwartungen zu übererfüllen, sondern bringen Sie Ihre eigenen Ansichten und Interessen ehrlich ein.
- Fragen stellen: Nutzen Sie die Gelegenheit, eigene Fragen zu stellen und so Ihr Interesse an der Kanzlei zu unterstreichen.
- Professioneller Umgang: Pünktlichkeit, angemessenes Auftreten und ein respektvoller Umgang sind selbstverständlich und hinterlassen einen positiven Eindruck.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie lange dauert ein Bewerbergespräch in einer Kanzlei?
Die Dauer kann variieren. Einzelgespräche nehmen in der Regel zwischen 30 und 60 Minuten in Anspruch. Bei mehrstufigen Auswahlprozessen, etwa bei Assessment-Tagen, sind auch längere Zeiträume möglich.
Welche Fragen werden häufig gestellt?
Neben Fragen zu Ausbildung, praktischer Erfahrung und Motivation erwarten Sie beispielsweise Rückfragen zu bisherigen Projekten, Teamarbeitssituationen oder Ihrer Vorstellung vom Arbeitsalltag in einer Kanzlei.
Kann ich eigene Fragen stellen?
Ja, dies wird sogar erwartet. Eigene Fragen zeigen Interesse und ermöglichen es Ihnen, mehr über die Arbeitsweise und Entwicklungsmöglichkeiten zu erfahren.
Was passiert nach dem Bewerbergespräch?
Nach dem Gespräch erfolgt in der Regel eine interne Auswertung. Sie erhalten innerhalb eines vereinbarten Zeitraums eine Rückmeldung, ob und wie es im Auswahlprozess weitergeht.
Sollte ich nach dem Gespräch nochmals Kontakt aufnehmen?
Ein höfliches Dankeschön per E-Mail nach dem Gespräch wird meistens positiv bewertet. Weitere Kontaktaufnahmen sollten sich jedoch auf inhaltliche Fragen oder die im Gespräch vereinbarten Schritte beschränken.
Dieser Artikel soll Bewerberinnen und Bewerbern helfen, sich sicherer und zielgerichteter auf Bewerbergespräche insbesondere im Kanzleiumfeld vorzubereiten und typische Unsicherheiten zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Dürfen im Bewerbergespräch Fragen zur Schwangerschaft gestellt werden?
Fragen zur Schwangerschaft oder einer möglichen Schwangerschaft sind im Bewerbergespräch aus rechtlicher Sicht gemäß § 7 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) sowie § 1 MuSchG (Mutterschutzgesetz) unzulässig. Sie stellen eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Das Fragerecht des Arbeitgebers ist hier eingeschränkt, da solche Fragen die Privatsphäre der Bewerberin verletzen und nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit der zu besetzenden Arbeitsstelle stehen. Selbst wenn eine Bewerberin schwanger ist, darf dies kein Kriterium für eine Ablehnung sein. Bewerberinnen haben in einem solchen Fall ein sogenanntes „Recht zur Notlüge“, d.h., sie dürfen eine unzulässige Frage unwahr beantworten, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Ist das Beschäftigungsverhältnis aufgrund einer solchen Frage und deren wahrheitsgemäßer Beantwortung bereits zustande gekommen, darf daraus kein Nachteil abgeleitet werden.
Welche Fragen sind im Bewerbergespräch bezüglich der Religionszugehörigkeit zulässig?
Grundsätzlich dürfen Fragen zur Religionszugehörigkeit im Bewerbergespräch gemäß § 1 AGG nicht gestellt werden, da diese Diskriminierung aufgrund der Religion verhindern sollen. Eine Ausnahme besteht allerdings für sogenannte Tendenzbetriebe, wie kirchliche Arbeitgeber oder religiöse Vereinigungen, sofern die Zugehörigkeit zur betreffenden Glaubensgemeinschaft eine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung für die Tätigkeit darstellt (§ 9 AGG). In der freien Wirtschaft oder bei staatlichen Arbeitgebern ist die Religionsfrage grundsätzlich unzulässig und kann von dem Bewerber verweigert oder falsch beantwortet werden. Kommt es dennoch zu einer Benachteiligung wegen der Religion, besteht nach § 15 AGG ein Anspruch auf Schadensersatz.
Hat der Arbeitgeber das Recht, nach Vorstrafen im Bewerbergespräch zu fragen?
Arbeitgeber dürfen grundsätzlich nur dann nach Vorstrafen oder anhängigen Ermittlungsverfahren fragen, wenn diese für die betreffende Stelle von Bedeutung sind. Dies ergibt sich aus § 53 BZRG (Bundeszentralregistergesetz) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wird beispielsweise eine Stelle im sicherheitsrelevanten Bereich (z.B. Bewachungsgewerbe) vergeben, dürfen entsprechende Fragen gestellt werden. In anderen Berufen ist eine solche Frage meist unzulässig, insbesondere wenn die Vorstrafen gelöscht oder getilgt sind und somit nicht mehr erwähnt werden müssen. Bewerber haben in diesem Zusammenhang ein „Recht zur Notlüge“, sofern die Frage unzulässig war. Wird der Bewerber aufgrund einer wahrheitsgemäßen Offenbarung einer Vorstrafe abgelehnt, kann das unter Umständen als Diskriminierung gewertet werden, sofern kein sachlicher Zusammenhang mit der Tätigkeit besteht.
Dürfen im Bewerbergespräch Fragen zur sexuellen Orientierung oder zum Familienstand gestellt werden?
Fragen zur sexuellen Orientierung sowie zum Familienstand, etwa hinsichtlich Lebenspartnerschaften, Kinderwünschen oder Ehestatus, sind nach § 1 AGG unzulässig. Sie greifen in die Intimsphäre der Kandidaten ein und sind als persönliche Lebensgestaltung für die Ausführung der beruflichen Tätigkeit im Regelfall nicht relevant. Auch hier steht dem Bewerber das Recht zur Notlüge zu, sollte eine solche Frage gestellt werden. Im Falle einer Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität besteht ein Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG.
Muss der Arbeitgeber den Bewerber über eine mögliche Video- oder Tonaufzeichnung des Gesprächs informieren?
Ja, jede Aufzeichnung eines Bewerbungsgesprächs, sei es per Video oder Audio, setzt das ausdrückliche und vorherige Einverständnis des Bewerbers voraus. Dies ist nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) und § 201 StGB (Strafgesetzbuch) vorgeschrieben. Eine heimliche Aufzeichnung wäre rechtswidrig und kann strafrechtlich verfolgt werden. Der Bewerber muss transparent über Umfang, Zweck und Dauer der Speicherung informiert und aktiv um Zustimmung gebeten werden. Ohne diese ist eine solche Aufzeichnung unzulässig und kann zu zivilrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Welche Rechte haben Bewerber bezüglich der Löschung ihrer im Bewerbungsverfahren gespeicherten Daten?
Nach Art. 17 DSGVO (Recht auf Löschung, auch „Recht auf Vergessenwerden“) kann ein Bewerber vom potenziellen Arbeitgeber verlangen, dass sämtliche personenbezogenen Daten, die im Rahmen des Bewerbungsprozesses erhoben wurden, gelöscht werden, sofern der Bewerbungsprozess beendet wurde und kein berechtigtes Interesse an einer weiteren Speicherung besteht (z.B. Verteidigung gegen Diskriminierungsklagen, Aufbewahrungspflichten). In der Regel empfiehlt sich eine Aufbewahrung der Unterlagen für 6 Monate nach Besetzung der Stelle, um Ansprüche nach dem AGG abwehren zu können. Nach Ablauf dieser Frist müssen die Daten gelöscht oder anonymisiert werden, sollte kein weiteres Einverständnis des Bewerbers zur längeren Speicherung vorliegen.
Dürfen im Bewerbergespräch Fragen nach bestehenden Krankheiten oder Behinderungen gestellt werden?
Fragen zu bestehenden Krankheiten oder Behinderungen sind grundsätzlich unzulässig, sofern sie nicht unmittelbar für die Ausübung der ausgeschriebenen Tätigkeit von Bedeutung sind. Laut § 7 AGG darf niemand aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden, und Fragen nach dem Gesundheitszustand sind nur dann legitim, wenn sie in direktem Zusammenhang mit den arbeitsbezogenen Anforderungen stehen (z.B. Nachweis einer Impfung bei medizinischem Personal, Nachweis der Farbtüchtigkeit bei Fahrpersonal). Andernfalls wäre eine solche Frage nicht gerechtfertigt, und der Bewerber darf sie unbeantwortet lassen oder unwahr beantworten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Kommt es dennoch zu einer Benachteiligung, besteht ein Recht auf Entschädigung nach § 15 AGG.