Legal Lexikon

Barrierefreies Referendariat


Definition und Bedeutung des Barrierefreien Referendariats

Das barrierefreie Referendariat beschreibt die rechtlich verankerte und praktisch umgesetzte Gewährleistung chancengleicher Ausbildungsbedingungen für Menschen mit Behinderungen während des juristischen Vorbereitungsdienstes (Referendariat) in Deutschland. Es beinhaltet die Anpassung aller relevanten Bereiche des Referendariats, einschließlich der Arbeitsbedingungen, Prüfungsmodalitäten, baulichen Beschaffenheiten und digitalen Angebote, an die jeweiligen Bedarfe von Personen mit körperlichen, seelischen oder kognitiven Einschränkungen. Ziel ist es, einen diskriminierungsfreien Zugang zur juristischen Ausbildung und zur Zweiten Staatsprüfung sicherzustellen.

Gesetzlicher Rahmen

Relevante Rechtsquellen

Das barrierefreie Referendariat ist im deutschen Recht durch eine Vielzahl von Vorschriften abgesichert, insbesondere durch:

  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), insbesondere §§ 164 ff. SGB IX
  • Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
  • Landesgesetze der jeweiligen Bundesländer, insbesondere Ausbildungs- und Prüfungsordnungen
  • Artikel 3 Grundgesetz (GG) („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“)

Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit

Die Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit im Referendariat leitet sich insbesondere aus dem Sozialgesetzbuch IX, dem BGG und dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes ab. Öffentliche Arbeitgeber sind verpflichtet, bei der Gestaltung von Arbeitsabläufen und Ausbildungsbedingungen die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

Anwendungsbereiche der Barrierefreiheit im Referendariat

Bauliche Barrierefreiheit

Gerichtssäle, Justizgebäude, Ausbildungsstätten und andere relevante Orte müssen gemäß DIN-Normen so gestaltet sein, dass Personen mit Mobilitätseinschränkungen sie ohne fremde Hilfe nutzen können. Hierzu zählen rollstuhlgerechte Zugänge, barrierefreie Toiletten sowie Leitsysteme für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen.

Technische Barrierefreiheit

Digitale Angebote, wie E-Learning-Plattformen oder Informationsportale, unterliegen der Verpflichtung zur Umsetzung der Barrierefreiheit nach Maßgabe der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0). Dokumente und Prüfungsunterlagen sind bei Bedarf in alternativen Formaten (z. B. Brailleschrift, Großdruck, barrierefreien PDFs) bereitzustellen.

Bedarfsangepasste Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen

Referendarinnen und Referendaren mit Behinderungen steht das Recht zu, Nachteilsausgleiche zu beantragen (§ 9 Abs. 2 DRiG, entsprechende landesrechtliche Vorschriften). Nachteilsausgleiche umfassen Anpassungen wie:

  • Verlängerung der Bearbeitungszeit bei Arbeitsgemeinschaften, Klausuren oder mündlichen Prüfungen
  • Unterstützung durch Gebärdensprachdolmetschende oder Assistenzpersonen
  • Gestattung der Nutzung spezifischer technischer Hilfsmittel

Die Gewährung der Nachteilsausgleiche erfolgt nach individueller Prüfung und orientiert sich am jeweiligen Bedarf des Antragstellers.

Antragsverfahren und Nachteilsausgleich

Antragstellung

Der Antrag auf Nachteilsausgleich oder barrierefreie Gestaltung ist in der Regel schriftlich bei der zuständigen Ausbildungsbehörde beziehungsweise dem Landesjustizprüfungsamt einzureichen. Dem Antrag sind Nachweise über die Art und den Umfang der Einschränkung, etwa ärztliche Atteste oder Schwerbehindertenausweise, beizufügen.

Behördenverfahren und Ermessensausübung

Die Behörde prüft den Sachverhalt im Einzelfall und entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang Ausgleichsmaßnahmen gewährt werden. Der Anspruch besteht auf einen angemessenen und erforderlichen Ausgleich, der Chancengleichheit herstellt und das Gebot der Prüfgerechtigkeit wahrt, ohne das Prüfungsziel zu gefährden.

Bereitschaft zur individuellen Anpassung und eine barrierefreie Kommunikation im Antragsverfahren sind verpflichtende Bestandteile.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Wird ein Antrag auf Nachteilsausgleich abgelehnt, besteht die Möglichkeit der Rechtsmittel (z. B. Widerspruch, Klage vor dem Verwaltungsgericht). Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich auf die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung und die Vereinbarkeit mit Diskriminierungsverbot und Teilhaberechten.

Besonderheiten nach Art der Beeinträchtigung

Körperliche Beeinträchtigungen

Bei körperlichen Einschränkungen stehen im Fokus insbesondere räumliche Zugänglichkeit, verlängerte Bearbeitungszeiten sowie technische Hilfsmittel.

Sinnesbeeinträchtigungen

Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen benötigen häufig angepasste Prüfungsunterlagen, unterstützende Technologien (Screenreader, Höranlagen) und eventuell die Unterstützung durch Dolmetschende.

Psychische und kognitive Beeinträchtigungen

Hier liegt der Schwerpunkt auf individuellen Zeitmodifikationen, Rückzugsoptionen und gegebenenfalls der Inanspruchnahme spezieller Betreuung.

Rechtliche Grenzen und Prüfungsmaßstab

Die barrierefreie Gestaltung und der Nachteilsausgleich unterliegen der Voraussetzung, dass das eigentliche Ausbildungs- und Prüfungsziel nicht verändert oder herabgesetzt wird. Dies stellt sicher, dass die Prüfungsanforderungen einheitlich bleiben, aber die Zugangsvoraussetzungen für Personen mit Behinderungen gleichberechtigt gestaltet werden. Die Ausgestaltung der Barrierefreiheit ist stets einzelfallbezogen unter Abwägung der betroffenen Interessen und der Verhältnismäßigkeit.

Fazit

Das barrierefreie Referendariat ist ein zentraler Bestandteil der gleichberechtigten Teilhabe am juristischen Vorbereitungsdienst in Deutschland. Die rechtlichen Vorgaben verpflichten staatliche Ausbildungs- und Prüfungsinstitutionen zur Herstellung umfassender Barrierefreiheit und zur Gewährung individueller Nachteilsausgleiche. Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherstellung von Chancengleichheit unter Wahrung eines einheitlichen Qualitätsstandards der juristischen Ausbildung und Prüfung.

Literaturhinweise und weiterführende Gesetze

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3 Absatz 3 Satz 2
  • Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
  • Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0)
  • Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Bundesländer

Diese Übersicht bietet eine strukturierte und umfassende Darstellung des Begriffs und seiner rechtlichen Einbettung im deutschen Rechtsrahmen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Ansprüche auf Nachteilsausgleich bestehen im Rahmen des Referendariats?

Referendarinnen und Referendare mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen haben gemäß § 3 Abs. 3 Grundgesetz und den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Anspruch auf Chancengleichheit. Im Speziellen verpflichtet das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sowie die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die Ausbildungsbehörden dazu, individuelle Nachteilsausgleiche zu gewähren. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen gelten sowohl für das Beamtenverhältnis auf Widerruf als auch für den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst. Die konkreten Ansprüche beziehen sich insbesondere auf den Zugang zu Prüfungen, den Ablauf der Ausbildung sowie notwendige Hilfsmittel und bauliche Anpassungen. Zusätzlich verlangen die jeweiligen Landesgesetze (z.B. das Schulgesetz der Länder, das Beamtengesetz und Prüfungsordnungen) spezifische Regelungen für Nachteilsausgleiche während des Referendariats. Ein Rechtsanspruch besteht nicht nur dem Grunde nach, sondern entfaltet auch unmittelbare Wirkung gegenüber Ausbildungs- und Prüfungsbehörden.

Welche formalen Verfahren sind zur Beantragung eines Nachteilsausgleichs im Referendariat notwendig?

Der Nachteilsausgleich muss in der Regel schriftlich beantragt werden. Rechtsgrundlage hierfür bilden neben den bundesrechtlichen Vorschriften (BGG, AGG) vor allem spezifische Prüfungsordnungen der Länder (z.B. Ausbildungsordnungen für Lehramtsreferendariat, juristische Staatsprüfungen etc.). Dem Antrag sind aussagekräftige Nachweise der Beeinträchtigung (z.B. fachärztliche Gutachten, ärztliche Atteste) sowie eine detaillierte Begründung beizufügen, aus der hervorgeht, welcher spezifische Nachteil in den einzelnen Prüfungssituationen oder Ausbildungsphasen besteht. Die zuständige Behörde muss den Antrag angemessen prüfen, oft ist eine Frist einzuhalten (meistens einige Wochen vor der Prüfung). Es besteht zudem ein Anspruch auf rechtliches Gehör; das bedeutet, die Antragstellerin bzw. der Antragsteller kann zur Sachlage Stellung nehmen. Gegen ablehnende Bescheide stehen der Verwaltungsrechtsweg und ggf. einstweiliger Rechtsschutz offen.

Welche Rechte und Pflichten haben Ausbildungsbehörden bezüglich Barrierefreiheit im Referendariat?

Ausbildungsbehörden sind nach § 7 BGG und Art. 24 UN-BRK verpflichtet, nicht nur Nachteilsausgleich zu gewähren, sondern auch alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um strukturelle und bauliche Barrieren zu vermeiden oder zu beseitigen. Dies gilt für sämtliche Ausbildungs- und Prüfungsorte sowie im Rahmen digitaler Lehr- und Lernformate. Die Behörden müssen im Einzelfall über den notwendigen Umfang der Anpassungen entscheiden (z.B. technische Hilfsmittel, barrierefreie Dokumente, dienstliche Abläufe). Gleichzeitig sind sie verpflichtet, unzumutbare Belastungen nachzuweisen, falls bestimmte Anpassungen verweigert werden. Der oder die Referendar:in wiederum ist verpflichtet, die Beeinträchtigung und deren Auswirkungen ausreichend nachzuweisen und gewünschte Nachteilsausgleiche möglichst konkret zu benennen.

Gibt es besondere rechtliche Regelungen bezüglich Prüfungsleistungen und Prüfungsfristen?

Die Prüfungsordnungen der Länder enthalten regelmäßig Sonderregelungen für Prüfungsteilnehmer:innen mit Behinderung. Diese umfassen insbesondere eine Verlängerung der Bearbeitungszeiten („Zeitzuschlag“), die Bereitstellung von Hilfspersonen oder technischen Hilfen sowie die Möglichkeit alternativer Prüfungsformen (z.B. Ersatz schriftlicher Arbeiten durch mündliche Leistungen). Ebenfalls können Prüfungsfristen in individuell begründeten Fällen verlängert werden. Maßgeblich ist stets die Herstellung einer angemessenen Chancengleichheit ohne Bevorzugung; so dürfen inhaltliche Anforderungen nicht gemindert werden. Rechtsmittel gegen abgelehnte Anträge sind, nach Erschöpfung des Widerspruchsverfahrens, der Verwaltungsrechtsweg.

Können barrierefreie Arbeitsmittel und Assistenz im Referendariat staatlich finanziert werden?

Nach den Regelungen des SGB IX sowie gegebenenfalls spezialgesetzlicher Vorschriften (z.B. Hilfsmittelverordnungen der Länder) besteht für schwerbehinderte Menschen ein Anspruch auf angemessene Vorkehrungen, wozu auch die Bereitstellung oder – sofern das nicht möglich ist – die Finanzierung erforderlicher Hilfsmittel (beispielsweise Laptops mit Screenreader, Gebärdensprachdolmetscher) gehört. Antragsberechtigt ist der oder die Referendar:in, leistungspflichtig sind je nach Bundesland, Dienstherr oder Ausbildungsstätte, das jeweilige Integrationsamt, die Ausbildungsbehörde oder (bei technischer Ausstattung) die Rehabilitationsträger. Die Kostenübernahme setzt einen Antrag sowie eine medizinische Begründung voraus. Die Leistungserbringung darf nicht an der Art des Beschäftigungsverhältnisses (Beamtenverhältnis auf Widerruf, Angestelltenstatus) scheitern.

Welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes bestehen bei Streitigkeiten um Barrierefreiheit im Referendariat?

Gegen Entscheidungen, die einen Nachteilsausgleich oder sonstige barrierefreie Maßnahmen ablehnen, steht grundsätzlich der ordentliche Verwaltungsrechtsweg offen. Zunächst ist meist ein Widerspruch bei der zuständigen Behörde einzulegen, an den sich das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht anschließt. Für Prüfungsentscheidungen ist unter Umständen ein sogenanntes Überdenkungsverfahren erforderlich. Liegt eine besondere Dringlichkeit vor (z.B. bei unmittelbar bevorstehenden Prüfungen), kann einstweiliger Rechtsschutz gemäß §§ 123, 80 Abs. 5 VwGO beantragt werden. Die Rechtsantragsmöglichkeiten erstrecken sich auf Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklagen. Ergänzend sind auch Beschwerdewege an Schwerbehindertenvertretungen, die Antidiskriminierungsstelle oder die Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung möglich, die allerdings rein unterstützend (nicht förmlich bindend) agieren.

Für welche Personengruppen gelten die besonderen Vorschriften zur Barrierefreiheit im Referendariat?

Die rechtlichen Regelungen gelten für alle Personen mit anerkannter Behinderung, also mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 20, sowie für Menschen mit chronischen Erkrankungen, die zu einer dauerhaften Funktionseinschränkung führen („gleichgestellte Behinderte“ nach § 2 Abs. 3 SGB IX). Darüber hinaus können auch Personen mit temporären gravierenden Beeinträchtigungen (z.B. nach Unfall oder schwerer Krankheit) vorübergehend Nachteilsausgleiche beanspruchen, sofern die Benachteiligung im Rahmen der Ausbildung oder Prüfung erheblich ist. Bei psychischen oder nicht sichtbaren Behinderungen gelten die gleichen Rechtsansprüche, jedoch ist die Nachweisführung häufig durch ärztliche Atteste oder psychologische Gutachten zu erbringen.